Zum Lebensrisiko eines Kindes gehören die Eltern!
Diese zutreffende Auffassung hat das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 19. November 2014 noch einmal sehr deutlich gemacht. Anlass war die Entscheidung eines Oberlandesgerichts, welches dem aus Ghana stammenden Vater das Sorgerecht für seine 2013 geboren Tochter entzogen hatte. Die Tochter wurde bei einer Pflegefamilie untergebracht. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht in einer lesenswerten Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist die schallende Ohrfeige, die das höchste deutsche Gericht einer Sachverständigen erteilt, die vom Familiengericht mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden war. Durch Sachverständigengutachten sollte u.a. festgestellt werden, ob der Vater erziehungsfähig sei. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass die Verwertung des Sachverständigengutachtens „erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln“ unterliegt. Amtsgericht und Oberlandesgericht werden gleich mit abgestraft, weil sie ihre Feststellungen maßgeblich auf das Sachverständigengutachten gestüzt hatten, ohne eine ausreichende eigenständige tatsächliche und rechtliche Würdigung vorzunehmen.
Die Sachverständige hatte sich in ihrem Gutachten nämlich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob das Kindeswohl nachhaltig gefährdet sei. Statt dessen begutachtete sie die Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters anhand eines vorgegebenen Leitbildes: Die Erziehungsgeeignetheit wurde u.a. daran gemessen, ob die Eltern dem Kind vorleben, dass es „sinnvoll und erstrebenswert ist, zunächst Arbeit und Leistung in einer Zeiteinheit zu verbringen, sich dabei mit anderen messen zu können und durch die Erbringung einer persönlichen Bestleistung ein Verhältnis zu sich selbst und damit ein Selbstwertgefühl aufbauen zu können, (und es) selbst wenn die Kindeseltern arbeitslos sind, sinnvoll ist, sich eigeninitiativ um Arbeit zu bemühen, an Trainingsmaßnahmen teilzunehmen, Termine beim Sozialamt wahrzunehmen“ und, dass die Eltern ihren Kindern ein „adäquates Verhältnis zu Dauerpartnerschaft und Liebe vorleben“.
Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass Eltern ihre Erziehungsfähigkeit nicht positiv unter Beweis stellen müssen. Eltern verlieren das Sorgerecht, wenn ein das Kind schwer schädigendes Erziehungsverhalten feststeht. Es kommt also glücklicherweise zum einen nicht darauf an, ob das Erziehungsverhalten der Eltern von dem Lebensmodell der Sachverständigen abweicht, zum anderen „darf der Staat seine eigenen Vorstellungen von einer gelungenen Kindererziehung grundsätzlich nicht an die Stelle der elterlichen Vorstellungen setzen“. „Die Eltern und deren sozioökonomische Verhältnisse gehören grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes“.
Das Gericht hat außerdem darauf hingewiesen, dass die Sachverständige dem Kindesvater gegenüber möglicherweiser nicht neutral gegenübergetreten ist. Die Herkunft des Kindesvaters aus einem afrikanischen Land wurde pauschal negativ bewertet. Die Sachverständige stellte in dem Gutachten zum Beispiel u.a. fest, dass „afrikanische Verhaltensweisen“ sich nicht mit dem Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung deckten und sie hielt „Nachschulungen“ des Kindesvaters im Hinblick auf die „Einsichtsfähigkeit in die europäischen Erziehungsmethoden“ für erforderlich.